Wie sich KI-Chancen im eigenen Unternehmen erschließen lassen und was digitale Assistenzsysteme heute schon können, zeigten drei Vorträge beim „Forum Wirtschaft & Wissenschaft“, zu dem die Roth Industries gemeinsam mit dem RKW Hessen Ende September 2023 eingeladen hatte (siehe SHT-Beitrag Chancen durch Nachhaltigkeit und KI).
Quantensprung durch Künstliche Intelligenz
Patrick Merke, Leiter der Frankfurter Akademie für neue Arbeitskultur und neue Führung, widmete sich als bekennender ChatGPT-„Junkie“ den Chancen, die ein solches KI-Tool bieten kann – und war dabei nicht zimperlich, sah er doch unendliche Chancen und nahezu keine Grenzen, außer vielleicht ethische. Jedenfalls habe uns ChatGPT „voll erwischt“, wir müssen unsere Rolle überdenken.
Denn – und das machte Patrick Merke äußerst klar: Das KI-Tool vereint eine Reihe von Fähigkeiten, von denen jede allein schon eindrucksvoll ist: So kann er mit einer extremen Vielfalt von Textformaten umgehen, sie auf sehr unterschiedliche Art und Weise be- und verarbeiten, das in allen möglichen Unternehmensbereichen, und kann dabei in zahlreiche Rollen schlüpfen, unterschiedliche Stimmungen und Charaktere mimen und Kommunikationsstile anwenden – in mehr als 100 Sprachen.
So könne das Tool, wenn Beispiel ein neues Gesetz den unternehmerischen Alltag umkrempelt, die Gesetzestexte nicht nur analysieren, sondern gleich Schulungsmaterial und ebenso Kommunikationsmaterial erstellen. Mit der Anwendung von ChatGPT wachse somit die Geschwindigkeit in den Abteilungen, weil praktisch auf Knopfdruck solches Material – wenn gewünscht in unterschiedlichsten Ausprägungen – schnell zu realisieren sei.
Weniger als andere Fachleute hob Patrick Merke in seiner Begeisterung für ChatGPT auf dessen Schwachstellen ab, wohl weil deutsche Unternehmen nach seinen Erfahrungen sowieso schon „ziemlich immun gegen KI-Hype“ seien. Immerhin verschwieg er nicht, dass dem KI-Modell beim „Zählen“ schon mal Fehler passieren – eigentlich nicht so verwunderlich, da es inhaltlich nichts zu verstehen versucht, sondern statisch mit hoher Wahrscheinlichkeit passfähige Texte zu den Anfragen ausgibt, und die können sachlich falsch sein, sodass oft darauf hingewiesen wird, dass Menschen die Antworten solcher KI-Tools überprüfen müssen. „Künstliche Intelligenz braucht menschliche Intelligenz“ lautete daher auch bei diesem Vortrag ein konsensfähiger Nenner.
Sogar der Fachkräftemangel abmildern lasse sich durch den mithilfe von ChatGPT und Co. erzielbaren Zeitgewinn, glaubt Patrick Merke und berichtet von einem Kollegen, der mittlerweile kaum noch googelt, weil der Einsatz von KI-Tools einfach rascher Ergebnisse liefert.
Das lässt ahnen, dass der Einsatz von KI in Betrieben über kurz oder lang ähnlich selbstverständlich sein könnte (und sollte!) wie heute die Informationsbeschaffung per Suchmaschine, und zeigt vielleicht einen für viele Betriebe leicht gangbaren Zwischenschritt auf: Heutige Browser kommen schon mit einer kostenfreien KI-Chatfunktion, die damit praktisch ohne Einstiegshürde ein paar Dutzend Fragen im ChatGPT-Stil beantwortet. Und wer dabei den Wert des intensiveren KI-Einsatzes erkennt, wird dann leichten Herzens und mit guten Argumenten die Abo-Gebühr von 20 Dollar pro Monat beantragen oder freigeben, um mehr Produktivität zu entfesseln.
Digitale Assistenzsysteme
Karl-Heinz Förderer von der PSI Technics GmbH aus Winningen stellte digitale Assistenzsysteme für Unternehmen vor. Er vermutet, dass Arbeitsplätze nicht erst 2030, sondern spätestens in vier oder fünf Jahren stark von KI-Tools geprägt sein werden. Schon aufgrund der demografischen Entwicklung werde eine „Untersättigung mit Arbeitskräften“ entstehen, und zwar im globalen Maßstab. Letztendlich müsse daher die Automatisierung von Prozessen vorangetrieben werden.
Künstliche Intelligenz in Form von digitalen Assistenzsystemen werde dadurch immer mehr ein Mittel zu diesem Zweck, beispielsweise um Arbeitskräfte schneller und unabhängig von ihrer Muttersprache anlernen zu können, da KI-Tools einmal erlernte Inhalte in beliebigen Sprachen ausgeben können. PSI Technics hat Dutzende solcher Tools entwickelt, um solche und ähnliche Prozesse zu unterstützen.
Kognitive KI-Systeme
Unter der Überschrift „KI Konkret“ zeigte Christian Bulka von der Wianco OTT Robotics GmbH aus Darmstadt die Möglichkeiten einer sogenannten „kognitiven KI“ zur Automatisierung von Geschäftsprozessen für Unternehmen auf. Seine provokante Frage an das Publikum lautete: Wie würde sich Ihr Unternehmen verändern, wenn jeder Mitarbeiter Prozesse, die er einem neuen Mitarbeiter erklären kann, automatisieren könnte, ohne dass er dazu IT-Kenntnisse benötigt?
Um die Umsetzung kümmert sich das System Emma, das digitale Abläufe am Bildschirm beobachtet, Erklärungen in menschlicher Sprache analysiert und schließlich Prozessschritte auf Basis von relevanten Zahlen, Text oder Mustern automatisch ausführt. Das Produkt kann hören und sprechen, daher nicht nur mit seinem menschlichen Trainer leicht kommunizieren, sondern auch standardisierbare Call-Center-Aufgaben übernehmen.
„Emma entfaltet Relevanz für jegliche Form von Unternehmen“, betonte Christian Bulka, auch wenn erste Anwendungen bei Banken umgesetzt wurden, da dort automatisierbare Prozesse nicht selten sind. Ein Video demonstrierte die Arbeitsweise und das Potenzial anhand der „Kleine Pfändung“, ein mit dem Überprüfen zahlreicher Schwellwerte verbundener Vorgang, der beim Referenzkunden OLB etwa 850mal im Monat auftritt und von der KI in drei Minuten bewältigt wird.
Auch wenn Wianco mittlerweile große Namen wie Deloitte und Siemens zu seinen Kunden zählen kann, könne es gerade auch kleineren Unternehmen einen Weg zur Automatisierung lästiger Tätigkeiten eröffnen, für die bisher Automatisierung zu teuer war. Digitalisierung anders gestalten: Man kann Betroffene zu Beteiligten machen.
Dr. Karlhorst Klotz, Redaktion SHT