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Jülicher Expertise: Warum das Elektroauto auch mit Wasserstoff fährt

Im Kontext der Energie- und Verkehrswende werden aktuell Elektroantriebe mit Batterien und Brennstoffzellen sowie der Einsatz strom- und biomassebasierter Kraftstoffe in Verbrennungsmotoren kontrovers diskutiert. Wissenschaftler des Jülicher Instituts für Techno-ökonomische Systemanalyse untersuchen die verschiedenen Optionen unter ökonomischen Gesichtspunkten. Ein Interview zur Faktenlage mit dem Leiter des Instituts, Prof. Detlef Stolten.

Herr Prof. Stolten, Medien und Politik zeigen sich aktuell sehr interessiert an Verkehrslösungen mit Brennstoffzellen. Welches sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Vorteile von Brennstoffzellen-Autos?

Das aktuelle Interesse ist sicherlich auch auf die Einsatzgrenzen der Batterie-Autos zurückzuführen sowie auf die Tatsache, dass Brennstoffzellenfahrzeuge asiatischer Hersteller inzwischen im Markt und vor allem in vielen Anwendungsbereichen sichtbar sind. Im Vergleich zu Batterien liegen die Vorteile der Brennstoffzellenantriebe zum einen bei einer fünfmal höheren Energiedichte des Stromerzeugungssystems. Darüber hinaus lassen sie sich in drei Minuten betanken und damit mindestens 10 mal schneller als Batteriefahrzeuge. Diese Eigenschaften ermöglichen hohe Dauerantriebsleistungen, beispielsweise für Pkw mit signifikanten Fahranteilen im Langstreckenverkehr sowie für Lkw, Busse und Züge.

Aber Brennstoffzellenautos gelten als wenig effizient. Stimmt das?

Nein, das ist falsch: Brennstoffzellenantriebe sind energieeffizient, auch wenn ihr Wirkungsgrad nicht mit dem von Batterieautos mithalten kann. Dafür erbringt der Wasserstoff durch seine Speicherbarkeit aber auch eine „Dienstleistung“ in Energiesystemen mit hohem Anteil an erneuerbaren Energien. Betrachtet man die sogenannte Well-to-wheel-Bilanz der beiden Antriebsarten, also die gesamte Wirkungsgradkette von der Gewinnung der Primärenergie bis zum Rad des Fahrzeugs, kommen Brennstoffzellen-Pkw auf rund 40 Prozent. Der entsprechende Wert für Batterie-Pkw liegt bei knapp 70 Prozent. Heutige Pkw mit Verbrennungsmotor kommen auf etwa 18 Prozent. Zum Vergleich: Flüssige synthetische Kraftstoffe, die mithilfe von Strom aus erneuerbaren Energien hergestellt werden (Power-to-liquid), kommen in der Well-to-wheel-Bilanz auf etwa 10 Prozent. Dieser niedrige Wert hat mehrere Gründe. Ausgangspunkt ist hier stets die Erzeugung von Wasserstoff durch Elektrolyse, mit einem Wirkungsgrad von heute maximal 70 Prozent. Dazu kommen der Wirkungsgrad der Kraftstoffsynthese sowie die Energie für die Bereitstellung des benötigten Kohlendioxids. Schließlich ist der Antriebswirkungsgrad der Verbrennungsmotoren mit 25 Prozent deutlich geringer als der von Batterie- oder Brennstoffzellenfahrzeugen. Für die Nutzung von Kraftstoffen aus Biomass-to-Liquid-Prozessen, die über den Weg der Vergasung von Biomasse hergestellt werden, beträgt der Well-to-wheel Wirkungsgrad rund 13 Prozent.

Wir sehen uns heute mit einer starken Umorientierung beim Umgang mit Energie konfrontiert. Wie würde sich aus Ihrer Sicht der Wasserstoff in einem zukünftigen Energiesystem darstellen, das den neuen Anforderungen gerecht wird?

Hier möchte ich auf das Kernelement des Wandels im Energiebereich eingehen, und das ist der Strom aus erneuerbaren Energien. Dieser erfordert aufgrund seiner Unstetigkeit eine deutlich verstärkte Speicherkomponente im Energiesystem. Dabei kann aus „grünem“ Strom hergestellter Wasserstoff als saisonaler Energiespeicher wirken. Nicht sofort im Netz benötigter Strom wird also zur Erzeugung von Wasserstoff genutzt. Dieser kann über lange Zeiträume gelagert werden und steht auch im Falle sogenannter Dunkelflauten zur Verfügung – also wenn aufgrund ungünstiger Wetterlage kein Sonnen- oder Windstrom erzeugt und ins Netz eingespeist wird. Solche Ereignisse, die beispielsweise in Deutschland statistisch alle zehn Jahre bis zu ein oder sogar zwei Wochen andauern können, erfordern großtechnische Speicher, die nach heutigem Stand nur mithilfe chemischer Energieträger – wie eben Wasserstoff – realisiert werden können. Darüber hinaus ließe sich Wasserstoff auch hervorragend als Transportmedium für den zunehmend ins Spiel gebrachten Import erneuerbarer Energien aus den Sonnen und Windregionen nutzen, zum Beispiel aus Patagonien oder Nordafrika. Damit könnte ein flexibler Wasserstoff-„Pool“ aus heimischen und überregionalen Wasserstoffquellen gespeist werden, der Anwendungen im Verkehr und in der Industrie versorgt.

Ein häufiger Kritikpunkt an der Brennstoffzelle sind die Kosten. Sind Brennstoffzellenautos marktfähig?

Zumindest die Preise heutiger Systeme sind im Vergleich höher als beispielsweise bei Batterieautos. Wettbewerbsfähige Kosten von Brennstoffzellen-Pkw halten wir mittelfristig für sicher umsetzbar. Brennstoffzellensysteme werden heute nur in relativ geringen Stückzahlen gefertigt. Die Massenproduktion wird die Kosten deutlich reduzieren, das zeigen internationale Studien. Ein weiterer Kostenfaktor bei der Brennstoffzellentechnologie sind die Katalysatoren, die Edelmetalle benötigen, etwa Platin. Die Entwicklung der vergangenen Jahre hat gezeigt, dass die benötigten Mengen drastisch reduziert werden können, in etwa um den Faktor zehn in den zurückliegenden 15 Jahren. Eine weitere Verringerung um den Faktor vier halte ich für umsetzbar, so dass dann das Niveau heutiger Abgaskatalysatoren von Verbrennungsmotorfahrzeugen erreicht würde. Auch die Kosten des Drucktanks lassen sich durch verbesserte Produktionsverfahren deutlich reduzieren. Darüber hinaus sinken durch die intensive Weiterentwicklung der batterie- und hybridelektrischen Antriebe die Kosten für den eigentlichen Elektroantrieb, was dann insgesamt den emissionsfreien Konzepten mit Batterien und Brennstoffzellen zugutekommt. Ein dabei zu berücksichtigender Trend ist, dass die Kosten für Pkw mit Verbrennungsmotoren, etwa durch strengere Abgasstandards und die geforderten Effizienzsteigerungen mittel- bis langfristig deutlich steigen werden. Vermutlich sind Autos mit Brennstoffzelle oder Batterie langfristig die günstigere Alternative.

Die Diskussionen über Batterie und Brennstoffzelle entzünden sich nicht zuletzt an der Frage nach der Betankung: Strom laden oder Wasserstoff tanken. Muss das nicht auch bei der Kostenbetrachtung berücksichtigt werden?

Auf jeden Fall: Beide Versorgungssysteme erfordern neue Investitionen, wobei die Kosten der jeweiligen Infrastruktur stark davon abhängen, wie viele Fahrzeuge versorgt werden müssen. Für Brennstoffzellenautos muss ein Großteil der Infrastruktur erst noch aufgebaut werden – und es muss die Übergangsphase bewältigt werden, in der die Erzeugung und Speicherung von grünem Wasserstoff mithilfe von Überschussstrom ausgebaut und entsprechende Tankstellen flächendeckend aufgebaut werden. Das elektrische Netz dagegen existiert bereits – es fehlt allerdings an einer flächendeckenden öffentlichen Ladeinfrastruktur und, für den Fall höherer Marktanteile von Batterieautos, auch an der Netzverstärkung. Batteriefahrzeuge können damit vor allem am Anfang der Markteinführung preiswerter geladen werden, während eine Wasserstoffversorgung erst mit zunehmender Marktdurchdringung günstiger wird. In einer Studie haben wir festgestellt, dass bei 20 Millionen Autos die Kosten der Wasserstoffversorgung bei etwa 40 Milliarden Euro liegen – im Vergleich dazu kostet eine Ladeinfrastruktur für Batterieautos etwa 40 bis 60 Milliarden Euro. Nimmt man die Mittelwerte, ist die Wasserstoffinfrastruktur 20 Prozent billiger als die Batterieladeinfrastruktur.

Wie erklären Sie sich dabei die größere Unsicherheit bei der Ladeinfrastruktur?

Hier ist für uns heute vor allem ungeklärt, wie sich das Ladeverhalten von Autonutzern künftig entwickeln wird: Ob beispielsweise Batteriefahrzeuge bei ausreichender Versorgungsinfrastruktur eher über Nacht geladen werden oder tagsüber an Schnellladesäulen, ist bisher nicht abzusehen. Bei der Wasserstoffbetankung hingegen ist alles wie gehabt, so dass hier auch die Kosten deutlich sicherer angegeben werden können. Zu beachten ist auch, dass die Kostenanalysen teilweise auf konservativen Annahmen beruhen. Bisher wurde beispielsweise angenommen, dass für die Wasserstoffversorgung der Bau neuer Pipelines notwendig ist. Würden stattdessen vorhandene Erdgas-Pipelines für den Wasserstofftransport umgewidmet, ließen sich die Pipelinekosten im Transmissionsbereich, also über die lange Strecke, um 50 bis 80 Prozent reduzieren. Gleichzeitig, und das halten wir bei der Markteinführung für besonders wichtig, sinken die Vorlaufzeiten für Planung, Genehmigung und Bau um etwa die Hälfte, was der Umsetzung der Energiewende deutlichen Schub verleiht.

Ihre Analyse zeigt also, dass es bei beiden Infrastrukturen erheblichen Ausbaubedarf gibt. Wie weit ist denn der Ausbau der Wasserstofftankstellen inzwischen vorangekommen?

Die Wasserstofftankstellen-Infrastruktur in Deutschland ist aktuell entlang von Korridoren ausgelegt und damit für Langstreckenmobilität geeignet. Die Tankstellen sind dabei so dimensioniert, dass auch eine wachsende Nachfrage bedient werden kann. Die derzeit vorhandenen 78 Tankstellen werden bis Anfang 2020 auf zunächst 100 ausgebaut, und in den nächsten Jahren – mit steigender Zahl der Wasserstofffahrzeuge – um weitere 300 Tankstellen. Dies ist immer noch gering im Vergleich zu den für 2050 erwarteten 10.000 Tankstellen, aber es ist ein echter Einstieg in die flächendeckende Versorgung.

Abschließend vielleicht noch eine Frage, die die Wirtschaftspolitiker sehr interessieren dürfte: Wie wirken sich Ihrer Einschätzung nach die Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnik auf die Wertschöpfung im Automobilland Deutschland aus?

In der Wirtschafts- und Forschungspolitik sowie in der Industrie wird dem Thema Wertschöpfung in Deutschland insgesamt große Aufmerksamkeit gewidmet. Speziell den Wasserstofftechnologien schreiben wir im Moment ein erhebliches regionales Wertschöpfungspotenzial zu. Während der Markt für Batterietechnik weitgehend von China und den USA beherrscht wird, ist das „Rennen“ bei der Brennstoffzellentechnik sicherlich noch offen. Deutschland und Europa haben hier gute Chancen, ganz vorne mitzuspielen. Mit Blick auf die Anwendung im Pkw und Lkw muss aber schnell gehandelt werden, da die interessantesten Fahrzeuge derzeit vor allem aus Südkorea und Japan kommen. Wenn es gelingt, hier mit eigenen Modellen Fuß zu fassen, können neue regionale Zulieferketten etabliert und damit auch Arbeitsplätze in der Automobilindustrie gesichert werden.

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